Mit „Blue Lines“ liegt meine aktuelle CD mit ausschließlich eigenen Kompo-sitionen vor. Der Titelsong Blue Lines gibt gewissermaßen die stilistische Richtung vor. Man hört meine Vorliebe für modernen straighten Jazz, der durchaus freie Elemente beinhalten kann, den Bezug zum erdigen, bluesiger Teil der Jazzgeschichte jedoch nicht verliert. Fast alle Stücke ent-standen während eines Sommerurlaubs in der bündner Schweiz. Die Titel sind nicht programmatisch, sondern folgen meist einer Song-Struktur. So verhält es sich auch bei Grishuna Blues: formal kein Blues, vielmehr die Transposition einer emotionalen Grundidee. Ein Blues muss nicht zwangs-läufig zwölf Takte haben ... Seven-Eleven Street spielt mit der Zahl 711. Das Stück hat viel mit meinen frühen Hörerfahrungen und der Musik von John Coltrane zu tun. Die Zahl benennt im Übrigen den „Asteroiden Marmulla“, der 1911 von dem österreichischen Astronomen Johann Palisa entdeckt wurde und bei meiner Namensforschung zu einem interessanten Ergebnis führte. Die einzige Fremdkomposition bildet das Stück Zephyr von Charlie Mariano. In unserem gemeinsamen Bandprojekt war dieses Stück für mich immer der akustische Höhepunkt unserer Zusammenarbeit. Folglich hegte ich seit langem den Plan, diese Komposition zu arrangieren und aufzunehmen.

   Way up, way down folgt dem Gesamtkonzept und wird von einem groovigen Shuffle-Rhythmus getragen. Wer mich kennt, weiß, dass ich eine besondere Vorliebe für diesen Rhythmus habe und dass bei jedem Auftritt irgendwann ein entsprechender Titel zu erwarten ist... My Ballad entstand kurz vor der Aufnahmesession und fügt sich in den Gesamtklang ein. Da ich häufig mit meinem Trio spiele, waren Trioaufnahmen ein unverzicht-barer Bestandteil dieser CD, die meine Arbeit dokumentiert. Der einzige formale Blues ist das Folgestück: Blues for BB. Mit den beiden Endbuchsta-ben könnte natürlich Benny Bailey gemeint sein. Das Hardbop-Intro scheint dies zu belegen.Tatsache ist, dass mehrere Personen die Initialen besitzen und der Song nicht auf meinen langjährigen Bandleader zurückzuführen ist. I remember Tizzano ist eine ältere Komposition, die ich jedoch häufig in Trioform spiele und deswegen hier auch so festgehalten werden sollte.

   Meinen Dank möchte ich meinen Begleitmusikern Caspar van Meel und Dominik Brosowski aussprechen, mit denen ich schon etliche schöne Konzerte gestalten dürfte und die mich auch bei dieser Produktion souverän unterstützten. Vielleicht noch einige Anmerkungen zu den Bläsern. Catrin Groth habe ich vor zwei Jahren bei einem „Soulkonzert“ kennen gelernt, hier bot sich die Gelegenheit zu einer weiteren Zusammenarbeit. Matthias Bergmann ist ein wirklich toller Flügelhorn-spieler. Er ist nicht nur menschlich zuverlässig, sondern auch spieltechnisch... Was soll man zu Gerd Dudek sagen? Für mich – und nicht nur für mich – ist er einer der ganz großen. Und ich bin wirklich glücklich, dass wir häufig zusammen spielen und ich so die Gelegenheit habe, von ihm zu lernen. Dank an alle.


Ingo Marmulla

Recklinghausen, 6.3.2014

Was macht Cosimo auf den Bäumen?


Ich habe "Cosimo" häufig bei meinen letzten Konzerten gespielt, und zwar in unterschiedlichen Besetzungen. Bevor es erklingt, erkläre ich meistens den Titel des Stückes. "Cosimo on Trees" geht zurück auf eine Reiselektüre, die ich bei meinem letzten Italienaufenthalt gelesen habe. Es gibt da nämlich einen Roman des italienischen Schriftstellers Italo Calvino: Der Baron auf den Bäumen. Cosimos Vater will erzwingen, dass Cosimo die Schneckensuppe isst. Er entweicht in die Baumkronen und kommt zeitlebens nicht mehr herunter ... Eine sehr amüsante und nachdenkliche Erzählung, und ein Stück italienischer Literaturgeschichte.


Die Musik auf diesem Album hat ihren Ursprung im Wesentlichen in zwei Reisen. Die eine Hälfte der Musik komponierte ich zu einer Jazz-Kunst Performance, die im vergangenen Herbst 2019 im Recklinghäuser Festspielhaus ganz erfolgreich zur Aufführung kam. Malerei zu improvisiertem Jazz war das Thema. Natürlich überließ ich den Ablauf der improvisierten Musik nicht dem Zufall. Die musikalische Gestalt sollte in einem Dialog zu den spontan entstehenden Bildern stehen. Mein Ansatz verfolgte dabei das Ziel, sowohl ganz freie kreative Passagen mit ruhigen und swingenden Elementen zu verbinden, um so den bildnerischen Ablauf herauszufordern und  akustisch zu illustrieren. Die zugehörigen Kompositionen entstanden allesamt auf einer Reise durch Polen im Sommer des gleichen Jahres. Dem Titel der Performance "Dialogs im Blue" entsprechend habe ich dann meine konzertante Musikversion, eine kleine Jazz Suite, ebenso benannt. Auch das Album trägt den Titel, weil diese Stücke gewissermaßen der Anstoß für die Produktion waren.


So erklärt sich auch die Verbindung von tonalen und atonalen, von freien und rhythmisch durchstrukturierten Passagen. Es liegt mir sowieso fern, freie und traditionelle Elemente zu isolieren. Beide zusammen bieten ergänzende Ausdrucksmöglichkeiten. Aus den Untertiteln lassen sich die "malerischen" Musikkomponenten entnehmen. Im Gegensatz zu den "traditionellen", groovigen Stücken lagen für die freien Musiken graphische Partituren zugrunde bzw. interpretierten Flöte und Schlagzeug in solistischer Form meine Spielanweisungen. Auch die "Instrumentation" dieser Suite bezieht sich auf die Performance (mit den Malerinnen Ulrike Speckmann und Dagmar Meiritz) und bildet die Grundlage der gesamten CD-Produktion. Fast alle weiteren Stücke entstanden auf einer Italienreise. "Danza Folkloristica" beispielsweise ist eine Transformation eines Volksliedes, dass ich in Kalabrien hören konnte. Am Ufer einer traumhaften Grotte wurde geschmaust, gesungen und getanzt. Das hat einen starken Eindruck bei mir hinterlassen ... "Casa Blue" war der Name unseres Ferienhauses.


Das einzige Stück, das seinen Ursprung hier im Ruhrgebiet hat, ist "Hopjes for Ack". Mit Ack ist natürlich Ack van Rooyen gemeint, mit dem ich zusammen spielen durfte. Als ich Ack abholte, bot er mir Hopjes an, das sind kleine Karamellbonbons. Wir hatten ein schönes gemeinsames Konzert anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der JazzIni Recklinghausen. Als ich Ack am nächsten Morgen zum Bahnhof fuhr, sah ich noch die Verpackung der Bonbons. Sofort kam mir die Idee, daraus ein Musikstück zu machen. In kürzester Zeit hatte ich diesen Song erstellt, der sich tonal sehr stark an Acks Spielweise orientiert. Ich hoffe Ack gefällt unsere Aufnahme mit Gerds Saxophonsolo.


Die Musik auf der CD stellt für mich im Wesentlichen eine Dokumentation dar. Sie ist weniger als perfekte Produktion gedacht, vielmehr ein Versuch, mit überschaubaren Mitteln meine "Songs" akustisch zu archivieren. Ich habe mich deshalb auch bewusst für eine Studioproduktion mit overdubbing entschieden. Für dieses Musikprojekt schien mir diese Vorgehensweise ideal zu sein. Im Nachhinein kann ich sagen, dass es eine glückliche Fügung war, die ganze Sache so anzugehen. Denn: In unsere Aufnahmen hinein platzten die Corona-Kontaktbeschränkungen.


Konnten wir im Februar das Auftakt-Konzert (ua.mit der Suite) noch durchführen, so wurde unser geplanter Auftritt in der Kunsthalle im März auf Grund von Corona abgesagt. Die Einspielungen in kleinen Gruppen konnten dennoch durchgeführt werden. Allerdings kann ich rückblickend sagen, dass zumindest ich den Einfluss dieser neuen Epidemie hören kann. Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht. Viele Entscheidungen wurden digital übermittelt und ausgetauscht... Dennoch: Mein Hauptanliegen, nach längerer Pause wieder eine CD mit eigenem Material aufzunehmen, konnte ich glücklich beenden.


In den vergangenen Jahren hatte ich Gelegenheit, mit sehr vielen unterschiedlichen Musikern und Musikerinnen zu arbeiten, Musik für unterschiedlichste Besetzungen zu arrangieren. Da kommt eine Menge an Spielerfahrungen und musikalischen Einflüssen zusammen. Meistens oblag das musikalische Arrangement mir und ich beschrieb unzählig viel Notenpapier mit Stimmen für alle möglichen Instrumente ... Für mich war es an der Zeit, mich auf meine eigenen Kompositionen zu konzentrieren, die bei den diversen Auftritten nur vereinzelt zu Gehör gebracht worden waren.


Da sind beispielsweise die Bläserarrangements, die im Wesentlichen zurückgehen auf meine Großbesetzung, das "Ensemble West", bei dem meine langjährige Zusammenarbeit mit Gerd Dudek ein wesentlicher Faktor ist. Und ich bin sehr froh, dass Gerd auch dieses Mal wieder auf der CD dabei ist. Er hat mich immer wieder durch sein fantasievolles Spiel inspiriert und mir Energie gegeben, mit dem Jazz weiter zu machen.

Ein zweiter Aspekt, den ich nicht verschweigen will, und der sich auf die "Instrumentation" bezieht, geht zurück auf meine Zusammenarbeit mit Gunter Hampel. Flöte, Gitarre, Gesang ist in dieser Zusammenstellung eine klangliche Reminiszenz an Gunters Musik zusammen mit Jeanne Lee.. Auch wenn meine Musik deutlich anders klingt, so besteht dennoch eine Verwandtschaft. Ich habe von Gunter sehr viel gelernt, insbesondere auch die eigene Musik zu dokumentieren und die Produktion in die eigene Hand zu nehmen. In dieser Hinsicht bin ich ihm zu besonderen Dank verpflichtet.


Ich glaube, ich habe auf dieser CD MusikerInnen vereint, die aus recht unterschiedlichen Bereichen kommen, ja sogar unterschiedlichen Generationen angehören. Mit allen habe ich aber schon Konzerte gespielt und konnte so meinen musikalischen Horizont erweitern. Das vorliegende Produkt wäre ohne das Zutun dieser Menschen nicht möglich gewesen.  Musizieren bedeutet: aufeinander hören, zusammen agieren. Die Kooperation aller Beteiligten, ihre gemeinsame Sprache, findet in der Musik auf dem Album ihren Ausdruck.

Mein Dank gilt allen Beteiligten. Dazu zählen auch Wolfgang Bökelmann, der über seine technische Unterstützung im Studion hinaus etliche hilfreiche Vorschläge eingebracht hat, und Rainer Claus für sein CD-Design, das an die CD „Blue Lines“anknüpft.


Ingo Marmulla, Mai 2020



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Dialogues in Blue
Ding Dong Rec. 1070
Blue Lines
Ding Dong Rec. 1060

Ingo Marmulla git, alto, dx7, composition

Charlotte Illinger voc

Michael Heupel fl

Gerd Dudek tsx

Matthias Bergmann trp

Thomas Hufschmidt p

Bernd Gremm drm

Stefan Werni bs


Revier Tonstudios Wolfgang Bökelmann

Ingo Marmulla g - Caspar van Meel b  

Dominic Brosowski drm -  Gerd Dudek ts 

Matthias Bergmann  flh -  Catrin Groth as                       

Revierton - Studios, Wolfgang Bökelmann